KiMsta bereitet Studierende auf den Umgang mit Opfern sexualisierter Gewalt vor

Erscheinungsdatum: 17.12.2025

In jeder deutschen Schulklasse sitzen rechnerisch 1 bis 2 Kinder, die sexualisierte Gewalt von Erwachsenen erfahren mussten. Davon geht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Schätzungen aus. Umso wichtiger ist es, dass pädagogische Fachkräfte und Sozialarbeiter*innen auf den Umgang mit Betroffenen vorbereitet sind. Die Studienvertiefung und Weiterbildung KiMsta (Kinder mit Missbrauchserfahrungen stabilisieren) der HAWK schult seit 10 Jahren Studierende und Fachkräfte aus der Praxis in Methoden der Prävention von sowie Intervention nach sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen. 

Zum Jubiläum versammelten sich nun aktuelle Studierende und Absolvent*innen der Studienvertiefung, weitere Kolleg*innen aus der Praxis und Lehrende bei einem Fachtag mit dem Titel „Vom Dunkeln ins Licht“. Claas Löppmann, HAWK-Alumnus und Mitglied im Betroffenenrat bei der Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung sprach zum Thema „Sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen – Warum und wie es realistisch ist, sie zu verhindern.“

 

Löppmann hat selbst Kindheitspädagogik an der HAWK studiert und ist heute Pädagogischer Leiter der Stadt Walsrode. Unter dem Motto „Schieb den Gedanken nicht weg!“ organisierte er 2023 eine Aktionswoche, um in seiner Stadt auf das Thema sexualisierte Gewalt aufmerksam zu machen. Diese Aufmerksamkeit sei bitter nötig, so Löppmann. „Ich glaube, dass sexualisierte Gewalt in diesem Ausmaß existieren kann, weil wir uns alle nicht vorstellen können, dass sie existiert“. Dass Täter*innen meist aus dem Nahbereich der betroffenen Kinder stammten, sei inzwischen zwar vielen bekannt. Dies zeige beispielsweise das Ergebnis einer Umfrage, bei der 90 Prozent der Teilnehmenden angaben, sich vorstellen zu können, dass sexualisierte Gewalt zu einem großen Teil in der Familie stattfindet. Doch 85 Prozent der Befragten konnten sich nicht vorstellen, dass es in der eigenen Familie passieren könnte. „Das ist ein riesiges Problem“, so Löppmann.

Wegschauen, weil man selbst die Vorstellung nicht erträgt, Kindern und Jugendlichen keinen Glauben zu schenken oder das Problem an andere Stellen zu verweisen – auch Fachkräfte können diese Verhaltensweisen zeigen, wenn sie mit dem Thema sexualisierte Gewalt überfordert sind. „Manche Personen sind schnell darin, zu sagen: ‚Gut, dass es Menschen gibt, die dafür zuständig sind. Gut, dass ich es nicht bin‘“, berichtet Löppmann. „Doch das funktioniert nicht, wenn jeder 10. Mensch betroffen ist.“

Diese Unsicherheit zu beseitigen, ist das grundsätzliche Ziel von KiMsta. Anhand von Daten aus Interviews mit Expert*innen und einer Befragung von über 700 pädagogischen Fachkräften erarbeitete ein Forschungsteam der HAWK unter der Leitung von Prof. Dr. Anna Wittmann ein Curriculum für die Studienvertiefung KiMsta, die HAWK-Studierende der Sozialen Arbeit und der Kindheitspädagogik nun seit 2015 belegen können. Über 350 Absolvent*innen haben seitdem an KiMsta teilgenommen. Und auch ein Fortbildungsangebot für Fachkräfte aus der Praxis ist aus den Ergebnissen entstanden. Flankiert wird das Qualifizierungsprogramm von dem Buch „Kinder mit sexuellen Missbrauchserfahrungen stabilisieren – Handlungssicherheit für den pädagogischen Alltag“, welches Teilnehmenden zum begleitenden Selbststudium und interessierten Praktiker*innen zur eigenständigen Weiterbildung dient und in diesem Jahr in überarbeiteter Auflage im Reinhardt-Verlag erschienen ist.

„Das Thema ist so komplex, dass es nicht reicht, es in einer einzelnen Lehrveranstaltung zu behandeln“, erklärt Wittmann. Die Studierenden bekämen neben dem Fachwissen auch Methoden- und Sozialkompetenzen sowie Fähigkeiten zur Selbstregulation an die Hand, um mit herausfordernden Situationen umgehen zu können. Dieses Lehrkonzept habe sich in den letzten Jahren zu einem Erfolgsrezept entwickelt, findet auch Prof. Dr. Sabine Dahm, Dekanin der HAWK-Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit. „Dazu gehören auch viele Ehemalige, die die Erkenntnisse in die Praxis streuen und umsetzen.“

Eine KiMsta-Absolventin der ersten Stunde ist Ursula Klenke. Sie hat Kindheitspädagogik studiert und ist nun stellvertretende Leiterin einer Kindertagesstätte. „Durch die Inhalte im Studium habe ich das Gefühl, richtig reagieren zu können“, sagt sie. Das gebe nicht nur ihr, sondern auch ihren Kolleg*innen Sicherheit. Ebenfalls im ersten KiMsta-Jahrgang dabei war Nicole Prietzel, Alumna des Studiengangs Soziale Arbeit und Mitarbeiterin der Stiftung Opferhilfe Niedersachsen. „Was ich durch KiMsta gelernt habe, hilft mir täglich in meiner Arbeit“, berichtet sie. „Kindern zuhören, auf das eigene Bauchgefühl vertrauen und das Prinzip des guten Grundes, also dass jedes Verhalten einen guten Grund hat – so gestalte ich meine Arbeit.“

Prof. Dr. Anna Wittmann hofft, dass noch viele weitere KiMsta-Absolvent*innen diese Fähigkeiten mit in die Praxis nehmen und an andere Fachkräfte weitergeben – ob im Berufsalltag oder in berufsbildenden Schulen. „Wir werden das Dunkelfeld so nicht auflösen können, aber wir können es kleiner machen – mit jeder Bezugsperson, der sich Kinder nach einer Missbrauchserfahrung anvertrauen.“